„Heutzutage geht es bergauf"
Nirgendwo in Deutschland sterben die Menschen früher. Kaum eine Stadt hat mehr Schulden und in fast keinem anderen Ort sind die Kinder so arm. Kinder, die in einem Land ohne Bodenschätze eigentlich die Zukunft sein sollten. Doch wer später einmal als qualifizierte Arbeitskraft die Wirtschaft des eigenen Landes ankurbeln soll, braucht in frühen Jahren die entsprechende Förderung und Ausbildung. Da die Erziehungsberechtigten in Pirmasens aber meist arbeitslos oder alleinerziehend sind und Sozialhilfe oft nur die einzige Einnahmequelle ist, scheint das Unterfangen, die eigenen Kinder bestmöglich zu fördern, kein Leichtes zu sein. Inzwischen leben rund 27 % aller Kinder in Familien, die auf Hartz IV angewiesen sind. Dabei war Pirmasens früher einmal Weltmarktführer in der Schuhindustrie. Inzwischen zählt die Stadt nur noch rund 40.000 Einwohner, vor 30 Jahren waren es im Vergleich noch 60.000. Aber wie konnte es soweit kommen? Und bietet Pirmasens ihrem Nachwuchs heute wirklich eine so triste Aussicht im Bereich der schulischen und beruflichen Ausbildung?
Der Hauptgrund liegt dabei zweifelsohne in der Schließung der Schuhfabriken in den 70er- und 80er-Jahren. Nach dem Hauptschulabschluss wurden die Schulabsolventen und angehenden Arbeitnehmer massiv von Schuhfabriken angeworben. Gute Bezahlung und Boni lockten und ein sicherer Arbeitsplatz mit guter beruflicher Perspektive machte das Ganze attraktiv für viele Pirmasenser. Doch durch die Produktionsverlagerung in Billiglohnländer in Asien brach der einzige Industriezweig der Stadt ab und die Massenarbeitslosigkeit zog ein. Nachfolgejobs gab es für Fabrikarbeiter nicht und die Erwerbslosenquote stieg auf über 30 %. Das einzige was den Fabrikarbeitern noch blieb war der Hauptschulabschluss. Die logische Konsequenz: Das Bildungsniveau sank und die Arbeitslosigkeit stieg. Die Schuhindustrie, welche die Stadt einst so reich gemacht hatte, brach immer mehr zusammen. Von ehemals fast 400 Schuhfabriken mit einer Gesamtzahl von über 15.000 Arbeitsplätzen, sind heute nur gerade mal noch 30 Betriebe und 1200 Jobs übrig. Darüber hinaus verließen durch den Abzug des amerikanischen Militärs in dieser Zeit nochmals zusätzlich 10.000 Menschen die Stadt. Daraufhin entwickelte sich Pirmasens mit rund 300 Millionen Euro zur am höchsten verschuldeten Kommune Deutschlands. Heute entstehen rund 80 Prozent dieser Kosten durch Sozialausgaben wie beispielsweise Hartz IV.
Doch wie steht es um die Perspektive junger Pirmasenser heutzutage? Ist das Bildungsniveau immer noch so niedrig oder haben junge Menschen inzwischen eine bessere Chance auf eine gute schulische und berufliche Ausbildung? Dominik Leininger ist 19 Jahre alt, Student und gebürtiger Pirmasenser. Durch die Gunst der späten Geburt bekam er vom schlechten Ruf, der seiner Heimatstadt vorauseilt, eher wenig mit. Nach der Grundschule entschied er sich 2009 dazu, auf ein Gymnasium zu gehen, an dem er im Jahr 2017 sein Abitur absolvierte. Nun studiert er an einer dualen Hochschule und arbeitet parallel dazu bei der Caritas, einem sozialen Träger der katholischen Kirche. Er und seine Familie waren also weniger vom Niedergang der einstigen Schuhmetropole betroffen: „Vor circa zwanzig Jahren sah es noch schlechter aus in Pirmasens. Heutzutage geht es aber bergauf.“ Seiner Meinung nach sei die Stadt inzwischen keine reine Schuhstadt mehr. Nach wie vor würden hier zwar Schuhe produziert werden, es gebe aber keinen Vergleich mehr zu früher. Viele seiner früheren Klassenkameraden studieren inzwischen ebenfalls. Von Medizin, BWL bis Jura ist alles mit dabei. Aber auch jene ehemaligen Mitschüler, die kein Abitur vorweisen können, haben inzwischen eine Perspektive, wie Dominik erklärt: „Die Hauptschule ist abgeschafft worden und heißt jetzt Realschule plus, eine Art Gesamtschule mit verlängertem Realschulabschluss.“ Darüber hinaus gebe es fünf Gymnasien, davon ein Sprachgymnasium, drei allgemeine Gymnasien, ein Wirtschaftsgymnasium und zwei Förderschulen. „Das ist ziemlich viel, für eine kleine Stadt wie Pirmasens“, wie Leininger persönlich findet.
In die gleiche Kerbe schlägt auch Oberbürgermeister Dr. Bernhard Matheis. Auch er kann mindestens seit seiner Zeit im Amt eine Trendwende wahrnehmen. Diese äußert sich laut seinen Angaben vor allem im Zuzug junger Leute, die für qualifizierte Arbeitsplätze nach dem Studium zurück in die kreisfreie Stadt kommen. Dies seien vor allem Menschen, die davor oder zuvor vorhin in Ballungszentren gewohnt haben und Pirmasens als Ort mit Wohnungen zu erschwinglichen Preisen schätzen. Auch das Umfeld der Stadt mit zahlreichen Möglichkeiten und Freizeitangeboten im Grünen locke junge Menschen in die Stadt. „Pirmasens befindet sich nach wie vor in einem erheblichen Strukturwandelprozess“, so der Oberbürgermeister. Für Schulabgänger bietet die Stadt daher inzwischen mit insgesamt 100 neuen Betrieben und 2500 Arbeitsplätzen im Bereich Dienstleistung, Medien, Maschinenbau und Engineering zahlreiche Perspektiven. Diese Entwicklung spüre man inzwischen auch im Bereich der Fach-hochschulen: Während früher nur 30 bis 40 Studenten im Bereich Schuhtechnik studierten, sind es inzwischen knapp 800 angehende Schuhexperten. Für Dr. Bernhard Matheis ist also ganz klar: „Die Stadt hat eine Zukunft und kann diese aus eigener Kraft entwickeln.“
„Heutzutage geht es bergauf"
Für seine Vergangenheit kann die Stadt Pirmasens nichts. Vielmehr gilt es nun, die Attraktivität der Mittelstadt auch weiterhin zu steigern. Dies geschieht nicht zuletzt auch in der Förderung sozial benachteiligter Menschen und Familien. Klarer Wille der Stadt ist es daher, gegenwärtige Hartz-IV-Bezieher wieder in ein Beschäftigungsverhältnis zu bringen. Ein gutes Beispiel für dieses Bestreben ist unter anderem der Deutsche Engagementpreis, den die Stadt als sozial engagierteste Mittelstadt Deutschlands gewonnen hat. Auch im Thema Bildung und Förderung konnte sich die Stadt durch den Deutschen Nachhaltigkeitspreis auszeichnen. Mit städtischen Hilfen wie der Tafel, Kleiderstuben, Hausaufgabenhilfen und Initiativen zur Unterstützung, bemüht sich die Stadt darüber hinaus zusätzlich um das Wohl ihrer Kinder, wie OB-Matheis erklärt: „Wir haben in Pirmasens ein soziales Netzwerk aufgebaut, das seines Gleichen sucht. Da können wir stolz drauf sein.“ Er ist davon überzeugt, dass Pirmasens in zehn Jahren noch einmal eine deutliche Verbesserung in der wirtschaftlichen Entwicklung nehmen wird. Neue Arbeitsplätze bieten jungen Leuten Perspektiven in einer überschaubaren Stadt mit guter Infrastruktur und umfangreichem Kulturangebot. Aufgrund der Größe der Mittelstadt werden zudem sehr viele persönliche Kontakte ermöglicht. Auch Dominik weiß, wo er hingehört. Nach einem kurzen Intermezzo an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg in Stuttgart ist er inzwischen wieder froh zuhause zu sein: „Ich habe mich dort immer sehr wohlgefühlt, aber in Pirmasens sind Freunde und Familie.“ Für ihn ist daher ganz klar: „Die Heimat ist die Heimat und bleibt die Heimat.“