„Wir wissen selbst nicht, wo die Reise hinführt.“
Zeiten voller Nostalgie
„DRIVE IN – Wo Kino am größten ist“ ziert die Einfahrt des Autokinos in Stuttgart-Kornwestheim. Die Tickets werden von Mitarbeitern in roten Westen durch die geschlossene Scheibe gescannt. Nach dem Einfahrtstor geht es links zu Leinwand eins, hier läuft heute “The Hunt“. Wir biegen zur zweiten Leinwand rechts ab. Dort wird der im Jahr 2019 oscarnominierte Film “A Star is Born“ gezeigt. Ein Mann, ebenfalls in roter Weste, winkt hektisch zu sich herüber, um uns einen Stellplatz zuzuweisen. Eine Stunde vor Vorstellungsbeginn ist der Parkplatz vor Leinwand zwei schon gut gefüllt. Auch von der letzten Reihe aus ist die Leinwand unerwartet groß. Geordnet wird hier nach Größe des Fahrzeugs und natürlich danach, wann man den Parkplatz erreicht hat. Noch die richtige Radiofrequenz eingestellt und nach wenigen, kurzen Werbespots beginnt der Film ein paar Minuten nach 22 Uhr. So langsam wird es warm im Auto und die Scheiben fangen an zu beschlagen. Ab und zu leuchtet ein Bremslicht oder ein Scheinwerfer auf.
Vintage Flair im Stuttgarter Autokino
Es sind Zeiten voller Nostalgie. Wer Wohnzimmer-Feeling vor flimmernder Leinwand erleben will, ist im Autokino genau richtig. Mit Jogginghose und eigenen Snacks kann man die romantischen Gesangsduette von Lady Gaga und Bradley Cooper auf der Leinwand sehen. Jeder ist ganz für sich in seinem eigenen Wagen, die Meisten mit geschlossenen Fenstern. Im Gegensatz zu einem normalen Kinoerlebnis bleiben die Emotionen der anderen Gäste verborgen. Trotzdem kommen viele Besucher von außerhalb, mit teilweise langen Anfahrtszeiten, die sie für einen Abend im Autokino aber gerne in Kauf nehmen. Aus Tübingen, Karlsruhe und sogar Heilbronn sind Leute angereist, wie die Nummernschilder verraten. Luca und Moritz aus Stuttgart sind heute Abend mit ihrem Cabrio gekommen. Sie sind das erste Mal in einem Autokino und sind sich einig: „Das ist echt mal voll was anderes.“
Kultstatus zunächst in den USA
Der Trend vom Autokino kommt – wie nicht anders zu erwarten – ursprünglich aus den USA. In Camden, New Jersey, wurde 1933 das erste Autokino eröffnet. Aber erst in den 50er- und 60er-Jahren findet das Autokino so richtig Beliebtheit – so auch in Deutschland. Das Autokino in Gravenbruch feiert 1960 Premiere. Es ist nicht nur Deutschlands erstes Autokino, sondern sogar das erste in ganz Europa. Geöffnet hat es bis heute. Kurz vor der Corona-Krise gibt es landesweit nur noch fünf dauerhafte Autokinos. Alle gehören zu der Kette “DRIVE IN“, unter anderem auch das Autokino in Kornwestheim. Hinzu kommen ein paar vereinzelte, saisonale oder nur für ein paar Tage im Jahr geöffnete Autokinos. Mit Corona kommt auch das große Comeback der Autokinos. Vorerst dürfen sie nur mit Sondergenehmigung eröffnen. Nach und nach geben die Bundesländer grünes Licht. Es scheint die perfekte Alternative zu sein. Jeder bleibt in seinem Wagen, alles läuft kontaktlos und man kann trotzdem das Kino-Feeling genießen. Plötzlich ist es möglich, in jedem noch so kleinen Dorf ein Autokino, wenn auch nur ein temporäres, zu errichten. Vor allem im Mai steigt die Zahl der neuen Autokinos erheblich an. Da Hollywood gerade keine neuen Filme produzieren kann, bieten die meisten Autokinos ein bunt gemischtes Programm. Von Klassikern wie “Dirty Dancing“ bis hin zu neueren Filmen wie “Nightlife“.
Autokino-Betreiber berichten
Vor allem Kinobetreiber*innen, die wegen Corona ihr Kino auf unbestimmte Zeit schließen mussten, steigen in dieser harten Phase auf Autokinos um. Die Lizenzen für die Filme sowie Mitarbeiter*innen haben sie bereits. Das gestaltet sich trotzdem nicht gerade einfach, erklärt Jochen Englert, der Kinobetreiber des Luxor-Filmpalast Heidelberg. Er hat, zusammen mit Axel Kappey vom Heidelgarden und Thilo Strack, Geschäftsführer der Rent Event Tec Firma aus Mannheim, eine Kooperation gestartet. Axel Kappey stellt dabei die Location und Thilo Strack kümmert sich um die Technik. Sogar eine LED-Leinwand gibt es im Heidelberger Autokino, damit auch tagsüber Filme gezeigt werden können. Für so eine Eröffnung braucht man allerdings vorher diverse Genehmigungen. Vergleichsweise spät öffnet das Autokino in Heidelberg am 27. Mai. Jochen Englert erklärt: „Man braucht auch eine Sendefrequenz. Da gibt es Spaßvögel, die haben sich Frequenzen zuteilen lassen und dann gemerkt, dass so ein Autokino nicht so einfach geht.“ Damit sind die Radiofrequenzen blockiert und ohne Frequenz kann man kein Autokino öffnen.
Kostendeckend arbeitet das Autokino nicht. „Wir machen das, um den Leuten in Heidelberg etwas anzubieten“, so Jochen Englert.
Obwohl normale Kinos seit dem 1. Juni unter bestimmten Hygieneauflagen wieder öffnen dürfen, bleibt der Luxor-Filmpalast vorerst geschlossen. Wie es mit dem Autokino auch nach Corona weitergeht, ist noch unklar. Nach heutigem Stand soll es weiterhin bestehen bleiben, aber vielleicht eher als Open Air Kino weiterlaufen.
„Das Autokino ist immer Kult.“
Adelheid Osenau ist Theaterleiterin des Autokinos in Stuttgart-Kornwestheim. Sie erzählt, dass sich der Autokino-Hype auch bei ihr in Kornwestheim bemerkbar gemacht hat. „Wir waren jeden Abend ausverkauft, bei einer Begrenzung von 750 bis 800 Gästen. Und das war vorher nicht so.“ Deshalb braucht man auch mehr Personal als im Normalfall. „Die Leute konnten ja nicht mehr aus dem Haus gehen und sind dann eben ins Autokino gefahren“, vermutet Adelheid Osenau. Ihre eigene Motivation? Natürlich der Spaß! „Ich arbeite schon 37 Jahre dort und es macht immer noch Spaß. Es ist immer irgendwas anderes.“ Das Autokino in Kornwestheim existiert schon über 50 Jahre und wird auch nach der Corona-Krise bestehen bleiben. „Natürlich werden es bei uns wieder weniger Besucher*innen. Die Leute können wieder raus gehen.“ Doch auch in einer Welt ohne Corona sind Adelheid Osenau und ihre Stammkund*innen der Überzeugung: Das Autokino ist etwas ganz Besonderes.
Es ist 0:30 Uhr und der Abspann läuft. Nach Filmende verläuft das Verlassen des Platzes überraschend schnell. Die nächsten Gäste warten schon ungeduldig in ihren Autos vor der Einfahrt für die Nachtvorstellung.