„Das ist wirklich völliger Quatsch, weil Menschen dazu gebracht werden sollen, sich wie dressierte Affen zu benehmen“
Das unterschätzte Potenzial unseres Körpers
„Hey, lach mal, dann geht´s dir gleich besser!“ Diesen Satz hat wohl jede*r in seinem Leben schon einige Male gehört und sich gedacht: „Wenn es doch nur so einfach wäre!“ Schließlich haben wir von klein auf gelernt, dass unser Geist den Körper steuert. Wenn es uns also nicht gut geht, kann der Körper daran nichts ändern. Oder?
Die grundlegende These von Embodiment ist recht simpel: Nicht nur die Psyche hat Einfluss auf den Körper, sondern auch der Körper auf die Psyche. Aber was fangen wir damit an?
Dr. Maja Storch ist Autorin, Trainerin und Leiterin des Instituts für Selbstmanagement und Motivation Zürich (ISMZ). Seit über zehn Jahren beschäftigt sie sich mit Embodiment. „Das Thema hat mich interessiert, weil ich mich mit der Frage befasse: Wie bringen wir Menschen bei, sich selbst zu managen?“ Sei es der Wunsch mit dem Rauchen aufzuhören, besser zu flirten oder einfach nur selbstbewusster aufzutreten. Auch Sportler*innen hat sie schon gecoacht: „Einmal hatte ich beispielsweise einen Golfer, der sich immer fürchterlich aufgeregt hat, wenn er das Loch verfehlt hat. Dann muss man aber sofort den Ärger wegregulieren können, damit man sich wieder auf die nächste Etappe konzentrieren kann.“
Das Stichwort lautet Affektregulation. Ein Affekt ist eine kurzzeitige Gefühlserregung, die auf ein äußeres oder psychisches Ereignis folgt, beispielsweise Zorn, Scham oder Freude. Bei negativen Affekten ist das Ziel laut Storch, sie zu mäßigen, damit man davon nicht heruntergezogen wird. „Der Verstand hat da nicht viel zu sagen. Ich kann mit Willenskraft oder indem ich mir irgendwas einrede, relativ wenig auf die Affekte ausrichten.“ Der bessere Weg sei der über den Körper.
Embodiment in der Forschung
Der Gedanke, dem Körper mehr Bedeutung zuzusprechen, ist nicht neu. Bereits seit den 80er-Jahren gibt es Embodiment-Untersuchungen. Zu den bekanntesten zählt das Experiment von Fritz Strack, Leonard Martin und Sabine Stepper aus dem Jahr 1988. Unter einem Vorwand sollte eine Gruppe Proband*innen einen Stift zwischen die Lippen nehmen, die andere zwischen die Zähne. Anschließend wurden ihnen Cartoons gezeigt.
Durch den Stift zwischen den Zähnen wird der Musculus zygomaticus major aktiviert – einer der Muskeln, der für unser Lächeln zuständig ist. Durch den Stift zwischen den Lippen wird die Aktivierung dieses Muskels verhindert.
Und tatsächlich: Die Proband*innen-Gruppe mit dem Stift zwischen den Zähnen fand die Cartoons im Schnitt deutlich lustiger, als die Gruppe mit dem Stift zwischen den Lippen. Der Körper nimmt also Einfluss auf unsere Psyche. Setzt man das richtig ein, kann man laut Maja Storch viel erreichen. Doch sie sieht auch Grenzen von Embodiment: Zum Beispiel sei es sehr schwer einen Zugang zu finden, wenn sich jemand generell nicht darauf einlässt, mit dem Körper zu arbeiten. Sich dagegen nur auf den Körper zu konzentrieren – wie es im radikalen Embodiment teilweise gemacht wird – ist für sie ebenfalls der falsche Ansatz. „Ich bin grundsätzlich ein Verfechter davon, zu sagen: Benutz doch alles, was du hast.“ Für Storch ist es also nicht der richtige Weg, Körper und Verstand gegeneinander auszuspielen. Sie arbeitet stattdessen viel mit Bildern und Assoziationen, die sich ihre Klient*innen ausdenken müssen. Der Körper soll dann mithilfe dieser Bilder selbst das passende Embodiment entwickeln. Als Bild kann dabei alles wirken, mit dem die Person das gewünschte Gefühl assoziiert, sei es ein Gegenstand, eine Landschaft, ein Lied, ein Gebet oder eine Person.
Trend zum Vereinfachen
Mit zunehmendem Forschungsaufkommen hat sich Embodiment mehr und mehr zum Trend entwickelt. Die Folge: Online-Kurse, YouTube-Videos von Influencer*innen und Apps, die alle eines gemeinsam haben: vorgefertigte Übungen zum schnellen Embodiment. Vom simplen Ansatz „Kopf hoch, Brust raus und lächeln“ hält Maja Storch nichts. „Das ist wirklich völliger Quatsch“, meint sie, „weil Menschen dazu gebracht werden sollen, sich wie dressierte Affen zu benehmen.“ Das sei weder authentisch noch wirkungsvoll. Als klassisches Beispiel nennt sie Hotel-Rezeptionist*innen: „Die lachen mich an, gucken mir in die Augen und machen eigentlich alles richtig, aber es wirkt auf mich nicht authentisch. Weil es eine Instruktion ist, die über den Verstand läuft, der sagt: So, jetzt stellen wir uns mal ordentlich hin.“
Auch zu diesem Thema gibt es bereits wissenschaftliche Untersuchungen. Stichwort: „Power Posing“. Geprägt wurde dieser Begriff von den Psycholog*innen Dana Carney, Amy Cuddy und Andy Yap. Sie wiesen 2010 in einem Experiment vermeintlich nach, dass Menschen sich durch eine offene Körperhaltung insgesamt risikobereiter und selbstsicherer fühlen. Fünf Jahre später wurde diese Annahme von einer Gruppe Wissenschaftler*innen von verschiedenen Universitäten und Instituten überprüft. In ihrer ausführlichen Analyse konnten sie die von Carney, Cuddy und Yap beschriebenen Effekte jedoch nicht bestätigen. Solche Vorfälle und Erkenntnisse sorgen dafür, dass Embodiment unter Wissenschaftler*innen noch immer umstritten ist.
Ein Stift zwischen den Zähnen oder das bloße Lächeln allein, vertreiben also wohl kaum unsere Sorgen. Dass aber ein gewisser Einfluss des Körpers auf unsere Psyche besteht, haben Experimente wie das von Strack, Martin und Stepper und noch einige andere gezeigt. Wie groß dieser ist – darüber herrscht Uneinigkeit. Es ist vermutlich der falsche Weg, das Embodiment-Konzept weiter in die Esoterik-Ecke zu schieben, wie es nach wie vor viele Psycholog*innen tun. Bis aber klar ist, wie umfangreich die Wirkung des Körpers und die damit verbundenen Möglichkeiten von Embodiment tatsächlich sind, braucht es weitere und vor allem umfassende Forschungen. Man kann gespannt sein, wie viel unentdecktes Potenzial noch in unserem Körper schlummert.