Das Versprechen vom Verzicht
Schon mit 26 Jahren haben Sie sich mit Ihrer Priesterweihe für ein zölibatäres Leben entschieden. Ein großer Schritt, den sie da gemacht haben. Wie genau sah diese Entscheidungsfindung aus?
Das ist keine punktuelle Entscheidung, sondern ein Entscheidungsprozess, in dem man sich befindet. So, wie sich zwei Menschen kennenlernen und nach einer Reihe von Erfahrungen, Höhen und Tiefen sagen: „Wir probieren das miteinander und versprechen uns Treue bis der Tod uns scheidet.“ Die haben ein ähnliches Alter, sind auch zwischen 25 und 35 im Durchschnitt, wenn sie heiraten. Von daher ist das schon eine Phase, in der man eine Lebensentscheidung fällen kann.
So würde ich das auch bei mir beschreiben: Im Vorfeld hat mich die Erfahrung eher bestärkt, diesen Schritt zu gehen und auch im Vertrauen auf Gottes Hilfe und auf ein Umfeld, das mich mitträgt. Natürlich war mir klar, mehr oder weniger, worauf ich verzichte. Aber in der Ausbildungszeit in Freiburg und anschließend in Rom war ich mit vielen Priestern zusammen, die den Eindruck vermittelt haben: Das ist eine erfüllende, herausfordernde, aber letztlich auch schöne Aufgabe und etwas, das zu mir passen kann. Ich hatte nicht das Gefühl, dass da der Verzicht im Vordergrund steht.
An Ihrer Wohnzimmerwand hängt ein Foto von Ihnen mit Ihren Eltern. Diese haben Sie in Ihrer Berufsentscheidung immer unterstützt. Stellen Sie Ihre Wahl heute aber manchmal selbst in Frage?
Es gibt Momente, wo ich denke: Es wäre schön, Familie zu haben. Beispielsweise an Weihnachten. Ich freue mich, dass meine Eltern immer mit mir feiern. Wenn die mal nicht mehr leben, werde ich mit Freunden feiern, aber das ist nicht das Gleiche. Oder in manchen Situationen tut es einfach gut, wenn einen jemand in den Arm nimmt. Das habe ich manchmal auch, wenn ich Freunde oder Verwandte treffe. Aber es ist doch etwas Anderes, wenn zu Hause jemand auf einen wartet. Gleichzeitig muss ich sagen, bin ich auch froh, wenn ich nach einem vollen Tag nach Hause komme und meine Ruhe habe und dann machen kann, was ich möchte. Ich habe gelernt, dass man nicht alles haben kann und es eine Kunst ist, für das dankbar zu sein, sich an dem zu freuen, was man hat und nicht ständig auf das zu schielen, was man nicht hat.
Welche Herausforderungen bringt das Keuschheitsgelübde mit sich?
Keine Familie zu haben ist das eine. Bei der ganzen anderen Thematik drumherum mit Sexualität, da muss jeder eine Form finden, die zu ihm passt. Also auch, wer verheiratet ist, kann nicht alle möglichen Abenteuer angehen oder sich darauf einlassen. Ich glaube, in jüngeren Jahren steht vor allem das Thema nicht gelebte Sexualität im Vordergrund, während sich mit zunehmendem Alter auch die Frage nach keiner Partnerschaft, keiner Familie stärker bemerkbar macht. Manchmal erlebe ich das als Verzicht. Also es mag durchaus Situationen geben, wo ich mir denke: Haja, wenn ich nicht Priester wäre, da gibt es schon gewisse Sympathien, also mit der Frau wäre es auch nett oder da hätte ich mir vorstellen können, mich in sie zu verlieben. Dann ist die Frage: Spielt man mit dem Feuer oder nicht? Da kann man sich eher die Finger verbrennen.
Haben Sie sich schon mal die Finger verbrannt?
Dazu sage ich nichts. Wenn ich Eheleute frage, würde ich so etwas auch nicht fragen.
Wie genau nehmen Sie denn das Versprechen?
So wie ich kann. Dafür bin ich mal angetreten, von daher hat es seine Berechtigung und ich bemühe mich, das jeden Tag so zu leben.
Wenn sie jemanden treffen würden, bei der Sie sagen: Das ist die Frau meines Lebens. Würden Sie sich vorstellen können, das Priesteramt für sie aufzugeben?
Ich glaube, wenn man mal über 50 ist, macht man das nicht mehr so leicht. Ich glaube, ich würde es nicht machen. Dann würde ich Priester bleiben wollen.
Halten sie das Zölibatsversprechen für angemessen und noch zeitgemäß?
Ja und nein. Die Leute denken heute nicht mehr: „Ah, das ist ein Pfarrer und der lebt so und so und verdient deshalb eine gewisse Wertschätzung“, sondern: „Ah, wie kompensiert er das? Missbraucht der auch Kinder oder hält sich nicht an solche Regeln?“
Manche Priester nehmen den Zölibat in Kauf, aber andere entscheiden sich bewusst dagegen. Ich kenne auch Priester, bei denen ich denke: Ne, die würden auch nicht heiraten, wenn sie könnten. Heute deutet vieles darauf hin und dem würde ich mich anschließen, dass wir den Zölibat nicht mehr zwingend vorschreiben müssen. Menschen können auch gute Priester, gute Seelsorger sein, wenn sie verheiratet sind. Die Kirche würde sich nichts vergeben, wenn sie es auf eine freiwillige Basis stellen würde. Damit könnte sie auch existieren.
Wie ernst sollten katholische Priester allgemein das zölibatäre Leben nehmen?
So, wie sie es versprochen haben. Wenn ich mich darauf einlasse, ist es letztendlich auch eine Konsequenz zu sagen: Ja, das versuche ich zu leben. Deswegen gibt es eine lange Zeit der Vorbereitung und der Ausbildung. Da kann ich nachher nicht sagen: Oh, das habe ich aber nicht gewusst.
Der Wille danach zu leben ist das eine, die Praxis ist manchmal doch nicht nur aus Schwarz und Weiß bestehend. Wenn ein Ehepartner eine Affäre hat, muss er deswegen seine Ehe aufgeben? Teilweise bleibt keine andere Lösung. Teilweise gibt es eine Versöhnung oder einen Neuanfang. Und das gibt es bei uns auch. Ich wäre da vorsichtig zu sagen, sobald ein Priester eine Affäre hat, muss er aus dem Dienst entfernt werden.
Wie gehen sie damit um, wenn bei Ihnen obszöne Sehnsüchte aufkommen? Denken Sie dann direkt so etwas wie: „Oh, ich bin katholischer Pfarrer, das darf ich noch nicht mal denken“?
Ich glaube, heute sehe ich das ein bisschen unverkrampfter als früher. Früher stand vielfach gleich das Thema Sünde im Raum, wenn ich entsprechende Bilder, Filme und sonstige Sachen angucke. Damals hat man da einen möglichst weiten Bogen drumherum gemacht. Da glaube ich, hat sich die Theologie in den letzten Jahrzehnten deutlich verändert. Es gilt da ein gutes Gleichgewicht zu finden und bestimmte Situationen nicht herauszufordern. Es gibt Kollegen von mir, die ganz regelmäßig in die gemischte Sauna gehen und sagen: „Oh, wunderbar, tut mir gut, macht mir nichts aus.“ Da war ich auch schon, aber so denke ich nicht darüber. Das beflügelt die Fantasie eher als es einem letztendlich guttut.
Ich gucke auch gern Fernsehen, gehe ins Kino, aber bei bestimmten Sachen denke ich: Das muss ich mir jetzt nicht unbedingt auch noch reinziehen. Wenn ich höre, wie viele im Internet sex- und pornosüchtig sind, dann denke ich: So weit möchte ich nicht kommen. Und diese Engführung: Ja, das darf ich doch alles nicht tun und ist das nicht ganz schlimm und furchtbar? Das finde ich etwas verkürzt, man sollte sich auch fragen: Tut mir das wirklich gut? Das ist ein Lernprozess.
Wenn das Zölibat abgeschafft werden würde, würden Sie das auch als persönliche Chance sehen, eine Beziehung einzugehen?
Familie würde ich heute, glaube ich, keine mehr gründen. Da müsste ich drüber nachdenken und vor allem müsste ich die passende Frau treffen. Jetzt zu sagen: Ah, jetzt bewege ich mich auf den Weihnachtsmarkt und finde ruck zuck jemanden… Das muss passen!
Und wenn es passen würde, würden Sie sich darauf einlassen?
Ich würde es nicht 100 prozentig ausschließen. Ich frage mich momentan schon, wie das wird, wenn ich älter werde und nicht mehr aktiv im Dienst bin. Aber nur zu sagen: Ich suche mir jemanden, damit ich nicht allein alt werden muss, ist vielleicht doch ein bisschen sehr verzweckt. Das ist eine theoretische Frage, über die ich mir noch nicht viele Gedanken gemacht habe. Aktuell sieht es auch nicht danach aus, dass der Zölibat abgeschafft wird. Ich glaube, bis dahin ist es noch ein sehr weiter Weg.