„Beim Discounter kostet eine Flasche Hochprozentiges circa fünf Euro. Ich kann mich also für weit unter zehn Euro völlig betrinken“
Zum Alkoholkauf nach Deutschland
Auf dem großen Parkplatz steigen Familien mit Kindern aus ihren Autos und Reisegruppen aus vollen Bussen. Sie steuern alle auf den Eingang eines Einkaufszentrums bei Flensburg zu. Die meisten sind dänische Staatsbürger*innen, die über die Grenze fahren, um dort auf Hunderten Quadratmetern günstige Süßgetränke und palettenweise Dosenbier zu kaufen. Mit dem Trip sparen Sie bares Geld. Denn in Dänemark kostet Bier etwa 65 Prozent mehr als bei uns. Das liegt vor allem an den Steuersätzen, die die dänische Regierung auf alkoholische Getränke erhebt.
60 Prozent der dänischen Haushalte decken sich mindestens einmal im Jahr in Deutschland mit Getränken ein. Laut IHK Flensburg macht das mehrere 100 Millionen Euro Umsatz im Grenzhandel. Obwohl Dänemark 2013 die Steuern senkte, sind die Steuersätze noch immer nicht mit den Deutschen zu vergleichen. Grund dafür ist die Präventionsstrategie der skandinavischen Länder. Die hohen Steuern sollen den Verkauf kontrollieren und den Konsum bremsen. Der Bierkonsum lag 2019 in Dänemark bei 62 Litern, in Deutschland bei 99,7 Litern pro Kopf.
Der skandinavische Ansatz
Das gleiche lässt sich in Schweden beobachten. Dort stammt die Hälfte des privatimportierten Alkoholes aus Deutschland. Schwedens Umgang mit Alkohol ist ein Musterbeispiel für die skandinavische Alkoholpolitik.
In Supermärkten gibt es nur Bier bis 3,5 Volumen Prozent. Getränke mit mehr Alkohol dürfen nur in staatlichen Geschäften verkauft werden. Das Verkaufsalter liegt bei 20 Jahren, konsumiert werden darf ab 18. Öffentliches Trinken ist oft verboten und Werbung stark eingeschränkt. 1957 wurden durch die Einführung hoher Alkoholsteuern eine kräftige Preiserhöhung durchgeführt. Bis heute sind Argumente dafür, der Jugendschutz und die Volksgesundheit. Dennoch sind derzeit 330.000 Schwed*innen alkoholabhängig. Der finanzielle Schaden liegt bei 102 Milliarden Euro im Jahr. Schwedische Sozialmediziner*innen haben keine Zweifel daran, dass hohe Preise und ein staatliches Monopol der einzige Weg sind, die Zahl der Abhängigen zu senken.
Deutschland ist Hochkonsumland
In Deutschland bevorzugt man es, die harmlose Seite des Alkohols zu sehen und assoziieren damit lieber die Erfrischung nach dem Sport und das Feierabendbier statt das Rauschmittel, das jährlich mehr als 74 000 Opfer fordert. Drei Millionen Deutsche hatten 2018 eine alkoholbezogene Störung. Dadurch entstand ein Schaden von über 57 Milliarden Euro. Laut Statistischem Bundesamt wurden 2020 circa 3,24 Milliarden Euro durch Alkoholsteuern eingenommen. Die Steuersätze liegen dabei deutlich unter dem europäischen Durchschnitt. Der Gesundheitsökonom Tobias Effertz sieht im Preis den Faktor für das Konsumverhalten: „Mit Preiserhöhung erzielt man den wichtigsten präventiven Effekt, nämlich den nachhaltigen Konsumrückgang. Das gilt auch für Jugendliche und große Mengen konsumierende Alkoholiker.“
Dass Deutschland sich dem skandinavischen Modell nicht anpasst, könnte am Einfluss der umsatzstarken Alkoholindustrie liegen. Suchtforschende kritisieren oft die zu industriefreundliche und zu wenig gesundheitspolitische Ausrichtung der deutschen Alkoholstrategie. Psychologe Reiner Hanewinkel hält die jetzigen Regelungen für unlogisch: „Wenn Außerirdische hier landen und ich sollte Ihnen die Alkoholsteuer in Deutschland erklären, wäre das völlig unmöglich. Wein wird gar nicht besteuert und eine Flasche Korn niedriger als die Dose Bier. Da gibt es keine Logik.“
Die Einführung der Alcopopsteuer bewertet er als Erfolg. Diese kam 2003, um dem „Komasaufen“ den Reiz zu nehmen. Seitdem ist der Konsum riskanter Mengen Alkohol kontinuierlich gesunken. „Klar ist, dass Preise eine positive Auswirkung auf den Konsum haben. Doch beim Discounter kostet eine Flasche Hochprozentiges circa fünf Euro. Ich kann mich also für weit unter zehn Euro völlig betrinken“, kritisiert Hanewinkel. Argumente gegen eine höhere Steuer sind, dass der Schmuggel zunehmen würde und Arbeitsplätzen in vielen Branchen wegfallen könnten.
Wie wirkt Alkohol in uns?
Alkohol verteilt sich durch die Blutbahnen schnell im menschlichen Körper und erreicht so nach kurzer Zeit das Gehirn. Hier werden die Transmittersysteme beeinflusst und Dopamin freigesetzt und Neurotransmitter gehemmt. In geringen Mengen enthemmt uns Alkohol, dadurch sind wir weniger ängstlich und beruhigter. Das führt zu einer besseren Stimmung und höherer Kontaktfreudigkeit. Das Rauschstadium beginnt dann etwa bei 1,0 Promille.
Die Preisspanne bei Alkohol ist in Europa besonders groß. Ziel der EU ist deswegen, die Steuern zu standardisieren, da so Großeinkäufe in Nachbarländern vermieden und Umsatzausfälle für Hochsteuerregionen reduziert werden. Dementgegen stehen die Pläne der schwedischen und britischen Regierungen. Während Schweden 2021 eine Steuererhöhung plant, die ein Plus von circa 550 Millionen Euro bescheren wird, haben die Briten angekündigt, die Steuern auf Alkohol zu senken, um die Gastronomie nach der Pandemie zu entlasten. Effertz hält das für falsch: „Momentan sind die Konsumzahlen wieder höher. Wir dürfen nicht den Fehler machen, das weiter zu begünstigen. Ich rate dringend davon ab, Alkohol noch weiter zu verbilligen.“
Geteilte Meinungen
Auch in Deutschland gehen die Meinungen auseinander. Die Grünenpolitikerin Kappert-Gonther hält eine Alkoholstrategie mit Überlegungen zur Preisgestaltung, Verfügbarkeit und Werbung für sinnvoll. Besonders wichtig ist ihr Jugendschutz, denn „es ist problematisch, dass schon Kinder auf Fußballplätzen regelmäßig mit Alkoholwerbung konfrontiert sind."
Die CDU-Politikerin Tillmann, stellte hingegen klar „wir haben bessere Erfahrungen mit gezielten Präventionsprogrammen gemacht als mit übermäßigen Steuererhöhungen. Deutschland ist ganz bestimmt nicht Schweden.“
Für Hanewinkel ist ein skandinavisches Modell absolut denkbar „nicht nur preispolitisch, sondern auch für die Bezugsregelungen.“ Er verweist auf das frühere Alkoholverkaufsverbot an Tankstellen in der Nacht in Baden-Württemberg. „Das finde ich sehr gut, warum soll dort mitten in der Nacht Alkohol verkauft werden? Für die Autofahrer?“
Es braucht Aufklärung
2020 zeigten Studien, dass die schwedische Bevölkerung Alkohol für ein gesellschaftliches Problem hält und Maßnahmen befürwortet. In Deutschland genießt Alkohol einen anderen Stellenwert und ist tief in der Gesellschaft verwurzelt. Laut Effertz ist es deswegen wichtig, dass der Bevölkerung erklärt wird, wofür die Maßnahmen gut sind. Denn „Eine Steuererhöhung wird der Krankenschwester nicht das abendliche Glas Rotwein verunmöglichen, sondern bei großen Konsummengen Effekte erzielt.“
„Eine Steuererhöhung wird der Krankenschwester nicht das abendliche Glass Rotwein verunmöglichen.“
Die Abhängigkeitsraten in Deutschland und Schweden sind ähnlich, das heißt aber nicht, dass der skandinavische Ansatz nicht funktioniert. Schwedische Forscher*innen schätzen, dass eine Liberalisierung des Marktes nach deutschem Vorbild den Alkoholkonsum längerfristig um 30 Prozent steigen lassen würde. Die Diskussion über Steuererhöhungen wird deswegen für Deutschland immer wichtiger, denn die Zahle der Suchterkrankten steigt. Testet deshalb regelmäßig auch den eigenen Alkoholkonsum.