„Man kann neuronale Netze so trainieren, dass sie solche Entscheidungen treffen wie der Mensch – man braucht nur die Daten dafür.“
Im Einsatz gegen Krebs
Ein Computerprogramm lernt in vier Stunden Schach und schlägt darauf den amtierenden Weltmeister: Schlagzeilen wie diese haben einen regelrechten Hype um Künstliche Intelligenz (KI) ausgelöst. Aber nicht nur die Allgemeinheit wurde von dieser Begeisterung angesteckt, sondern auch die Fachöffentlichkeit. Vor allem bei Krebserkrankungen gilt die KI als die große Hoffnung. Weltweit arbeiten Forscher an KI-Systemen, die in Zukunft dabei helfen sollen, Krebs effizienter zu diagnostizieren und erfolgreicher zu behandeln.
Was ist künstliche Intelligenz?
Dank künstlicher Intelligenz ist es möglich, schnell und flexibel große Datenmengen auszuwerten. Ein KI-Algorithmus kann mithilfe von Beispieldaten lernen, eine Aufgabe eigenständig zu lösen. Das bedeutet, dass der Mensch nicht vorgeben muss, wie die Daten zu verarbeiten sind; der Algorithmus weiß das selbst.
Bei Krebserkrankungen sind die anfallenden Datenmengen oft riesig: Röntgenbilder, Gewebeproben und genetische Informationen – alles muss ausgewertet werden, denn Krebs verläuft bei jedem Patienten unterschiedlich.
Wo KI den Menschen übertrifft
In München wird KI bereits zur Tumor-Forschung an Mäusen eingesetzt: Forscher vom Helmholtz Zentrum haben den Algorithmus DeepMACT (Deep learning Metastasis Analysis in Cleared Tissue) entwickelt, der Krebsmetastasen im gesamten Mäuse-Körper erkennen kann. So können die Forscher nachvollziehen, wie sich die Metastasen verteilen. Das hilft ihnen zu verstehen, wie der metastatische Prozess abläuft, mit dem Ziel, tumorspezifische Medikamente zu entwickeln. Der Vorteil ist, dass der Algorithmus sehr schnell und mit konstanter Sorgfalt arbeitet. „Unsere Biologin hat zwei Monate die Mäuse-Körper nach hunderten Metastasen abgesucht. Der Algorithmus braucht dafür eine Sekunde“, erklärt Oliver Schoppe, der Entwickler von DeepMACT. Das sei ein enormer Effizienzgewinn, da so die Forscher viele unterschiedliche Krebsarten untersuchen können, was sonst Monate oder Jahre dauern würde.
Im Universitätsspital Zürich ist künstliche Intelligenz sogar schon im Klinikalltag angekommen: Seit zwei Jahren hilft die b-Box dem Radiologen Andreas Boss bei der Brustkrebsvorsorge. In der schwarzen Box ist ein neuronales Netzwerk verbaut, das dazu trainiert wurde, die Brustdichte zu erkennen. In einer Mammographie, ein Röntgenbild der Brust, wird zunächst die Dichte des Brustgewebes bestimmt. Das ist wichtig, weil bei dichtem Gewebe ein zusätzlicher Ultraschall notwendig ist, um kein Karzinom, sprich Krebstumor, zu übersehen. Hier setzt die b-Box an: Das neuronale Netzwerk, das sich darin befindet, ermittelt die Dichte des Brustgewebes zuverlässiger als jeder Arzt. „Schaut sich der Radiologe dieselbe Mammographie eine Woche später an, so entscheidet er in 15 Prozent der Fälle anders über die Brustdichte“, erklärt Boss. Das liege daran, dass die Dichte des Brustgewebes sehr unterschiedlich sei und nur nach optischen Merkmalen bestimmt werde. Die b-Box hingegen liefert auch eine Woche später das gleiche Ergebnis.
Das neuronale Netzwerk wurde mit 20.000 Befunden zu unterschiedlichen Brustdichten trainiert. Mittlerweile arbeitet es mit derselben Genauigkeit wie ein erfahrener Radiologe. Die KI erkennt in den Röntgenbildern Muster, die sie nach denselben Merkmalen wie der Arzt sortiert und so die Dichte des Gewebes bestimmt. Ansonsten wären die Ergebnisse für die Diagnosestellung nutzlos.
Alles eine Frage der Daten
Künstliche Intelligenz könnte der Krebsmedizin in vielen Bereichen von Nutzen sein. Doch bevor sie breit eingesetzt werden kann, gilt es, einige Herausforderungen zu bewältigen.
Oliver Schoppe vom Helmholtz Zentrum München sieht die Datensätze als wichtigen Aspekt, mit denen KI-Systeme trainiert werden müssen. Um verlässliche Systeme zu erstellen, braucht man sehr viele Beispielaufnahmen und -befunde. Die seien in der Biomedizin oft nicht vorhanden, da sie viele sensible Patienteninformationen enthalten. An diese heranzukommen ist schon aus datenschutzrechtlichen Gründen schwierig. Zusätzlich müssen die Aufnahmen von Experten ausgewertet werden – bei großen Datenmengen ein hoher Aufwand.
Außerdem arbeiten viele KI-Systeme wie Black-Box-Systeme, bei denen die innere Funktionsweise nicht bekannt ist: Sie liefern zwar ein Ergebnis, aber es ist nicht klar, wie genau sie darauf gekommen sind. Deshalb müssen KI-Systeme transparenter und leicht verständlich werden: Was erscheint dem Algorithmus auf dem Bild verdächtig? Und an welcher Stelle?
„Ein Problem ist, dass die b-Box mit Befunden aus Zürich trainiert wurde und nach diesem Standard entscheidet“, meint Boss. Radiologen aus einer anderen Stadt hätten dieselben Befunde womöglich anders bewertet und somit auch die Entscheidungsgrundlage des Algorithmus verändert. Es müsse also ein überregionaler Standard festgelegt werden, damit die b-Box nicht nur in Zürich verlässliche Ergebnisse liefert. Dieses Problem tritt bei vielen KI-Systemen auf.
KI-Assistenz ja, Arztersatz nein
Der Begriff „Künstliche Intelligenz“ gehe oft einher mit überspitzten Erwartungshaltungen, so Schoppe. Zwar berge KI viele neue Möglichkeiten für Medizin und Forschung, aber sie könne den Krebs auch nicht beseitigen. Für den Schweizer Radiologen Andreas Boss ist klar, dass gerade eine Revolution in der Medizin stattfindet und KI auch in Zukunft dort Einsatz finden wird: „Das wird die Radiologie total verändern, weil es ganz viele Anwendungen gibt, die wir uns jetzt vielleicht noch gar nicht vorstellen können.“ Den Menschen ersetzen könne die KI allerdings nicht. Die Zukunft liege im Zusammenspiel von Mensch und Maschine.
"KI ist ein Sammelbegriff für eine Vielzahl an Hilfsmitteln, aber es sind eben auch nur Hilfsmittel. Es ist kein Wunderwerk, das alles auf einmal löst."
Die Fähigkeiten der KI sind bisher auf die Aufgaben beschränkt, für die sie entwickelt wurde. Sie kann Ärzte und Forscher unterstützen, indem sie Routinearbeiten schneller und mindestens genauso zuverlässig erledigt. Aber so intelligent wie ein Arzt aus Fleisch und Blut ist die KI nicht – und wird es auch nicht in den nächsten Jahren sein.