„Ich habe eine innere Frauenhasserin“
Einige sind rosa, andere mit Blümchenmustern bestickt, wieder andere besetzt mit bunten Pailletten. Meine Mutter holt mich aus der Grundschule ab, um mit mir neue Sandalen zu kaufen. "Schuhgrößen 28 bis 31" steht am Regal. „Gefällt dir denn wirklich gar nichts?“, fragt mich meine Mutter, als sie meinen enttäuschten Blick auf die Schuh-Auswahl der Mädchenabteilung sieht. Nein, kein einziges Paar gefällt mir – nicht etwa weil ich etwas gegen die Farbe rosa oder bunte Pailletten habe. Vielmehr stört mich bei allen besonders eines: Sie sind viel zu mädchenhaft. In der Jungsabteilung finde ich ein Paar, das mir gefällt. Graue Sneaker mit orangenen Highlights – sportlich, lässig, cool. Mit ihnen hebe ich mich definitiv von den anderen Mädchen aus meiner Klasse ab. Sogar auch von denen aus der 3b.
Aber was ist an den „anderen Mädchen“ eigentlich so schlimm? Habe ich eine innere Frauenhasserin?
Die Ablehnung des eigenen Geschlechts
Von internalisierter Misogynie habe ich leider erst viel zu spät gehört. Dass sich Diskriminierung von Frauen nicht alleine durch gemeine Worte oder gewalttätige Taten äußert, ist mir natürlich bewusst gewesen. Dass Gedanken wie „Ich bin nicht so wie anderen Frauen“ oder „Ich verstehe mich besser mit Jungs. Mädchen sind mir zu anstrengend“ eine Form von Frauenfeindlichkeit sind, allerdings nicht. „Internalisierte Misogynie“ – einen solch komplizierten Begriff muss ich natürlich erstmal aufdröseln. Laut Oxford Wörterbuch bedeutet Internalisierung so viel wie „Verinnerlichung“, Misogynie lässt sich mit „Frauenhass“ übersetzten. Dabei handle es sich bei verinnerlichtem Frauenhass natürlich nicht darum, dass betroffene Personen für jede Frau Hass empfinden, verdeutlicht die Philosophieprofessorin Kate Manne. Vielmehr umfasst internalisierte Misogynie das gesellschaftliche Einstellungsmuster, dass Frauen weniger relevant sind als Männer.
Der Satz „Ich bin nicht so wie andere Frauen“ zeigt das schon ziemlich gut. Denn die Aussage suggeriert deutlich, dass die Frau selbst nicht so wahrgenommen werden möchte wie andere Frauen. Weil sie weiß, was für negative Erwartungshaltungen die Gesellschaft von Frauen hat. Diese äußern sich in stereotypischen Bildern, wie beispielsweise, dass alle Frauen die Farbe rosa und eingestickte Blümchenmuster toll finden. Auf dieser Basis scheint meine Ablehnung derer weit über eine blöde Kindheitsphase hinauszugehen. Denn das Gefährliche daran, das eigene Geschlecht abzuwerten, ist, dass man automatisch auch anderen die Erlaubnis dafür gibt.
Taffe Mädchen
Wieder zurück in die dritte Klasse. Als die Dinge noch unklar waren. Denn genau dort liegt der Ursprung der Verinnerlichung diskriminierender Frauenbilder. Beispielsweise habe ich als Kind gerne die Filmreihe „Die wilden Kerle“ geschaut. Für alle, die es nie geguckt haben: Es geht um einen Fußball-Club mega cooler Jungs, die ihre Gegner*innen in spannenden Fußballspielen besiegen. „Gibt es in den Filmen überhaupt Mädchen?“, mag man sich fragen. Die Antwort lautet ja, aber nicht viele. Da wäre zum Beispiel Vanessa mit dem Spitznamen „die Unerschrockene“. Als allererstes Mädchen durfte sie sich dem Y-Chromosom-dominanten Fußball-Team anschließen. Auf der Website „Die wilden Kerle Fandom“ wird sie als taff und durchsetzungsfähig beschrieben. „Vanessa hat Mumm und Grips, mit dem sie es schafft, sich unter all den Jungs zu behaupten“, heißt es dort. Und so hat es mein achtjähriges Ich auch gesehen. Vanessa ist cool, denn sie achtet nicht auf ihr Aussehen und spielt richtig gut Fußball – ein eher maskulin assoziiertes Hobby. Sie schafft es sogar, eine von den Jungs zu sein.
Heute frage ich mich vor allem eines: Warum sind nur Frauen cool, die eher maskulinen Stereotypen entsprechen und was macht Frauen, die femininen Stereotypen entsprechen eigentlich so uncool? Die Ursache könnte dabei in verinnerlichten patriarchalischen Strukturen liegen, erklärt die Psychologin Merit Umic-Senol in einem Interview.
„Misogynie als Exekutive des Patriarchats“
Kate Manne geht sogar darüber hinaus und bezeichnet Misogynie in einem Interview mit der Taz als „die Exekutive des Patriarchats“, beziehungsweise die ausführende Gewalt. In verschiedenen Gesellschaftstheorien beschreibt der Begriff des „Patriarchats“ ein System sozialer Beziehungen, das maßgeblich von Männern geprägt und kontrolliert wird. Das zeigte sich in der Vergangenheit beispielsweise dadurch, dass ausschließlich Männer als König ein Land regieren durften. Frauen hingegen waren von Männern abhängig und galten als unterlegen. Aus den altertümlichen Strukturen bilden sich noch heute Stereotype wie „die Frau gehört in die Küche“ oder „Frauen können nicht körperlich hart arbeiten“. Und davon wollen sich viele Frauen heutzutage bewusst distanzieren. Dafür, dass dabei eine unterbewusste Verachtung des eigenen Geschlechts entstehen kann, muss definitiv mehr Bewusstsein geschaffen werden.
Die Gesellschaft vermittelt jungen Mädchen stereotypische Ideen davon, wie sie als Frau zu sein haben und wie nicht. So auch mir. Heute kann ich die Gefühle, die lange Zeit in mir aufgekommen sind, reflektieren. Dennoch hätten sich die diskriminierenden Einstellungen gar nicht erst verinnerlicht, wenn die Darstellung des Frauenbildes neutraler wäre. Erst wenn patriarchalische Strukturen nicht länger unsere Gedanken kontrollieren, können wir sie endgültig verabschieden. Es gibt nun mal keinen Maßstab für Weiblichkeit – keine Konkurrenz zwischen rosa Sandalen und grauen Sneakern.